Beriberi-Krankheit: Mangel am B-Vitamin Thiamin
Stellen Sie sich vor, Sie fühlen sich ständig müde, Ihre Beine kribbeln unangenehm, und Ihr Herz rast ohne ersichtlichen Grund. Was zunächst nach Stress klingen mag, könnte tatsächlich auf eine ernsthafte Erkrankung hindeuten: Beriberi. Diese oft übersehene Krankheit wird durch einen Mangel an Vitamin B1 (Thiamin) verursacht und kann weitreichende Folgen für unseren Körper haben. Was genau es mit der Mangelerkrankung auf sich hat, wie sie behandelt wird und welche Möglichkeiten es gibt, Beriberi vorzubeugen, können Sie hier nachlesen.
Vitamin-Mangel: Was ist Beriberi und woher kommt der Name?
Beriberi, auch als Beri-Beri bekannt, ist eine Erkrankung, die durch einen schweren Mangel an Vitamin B1 (Thiamin) im Körper verursacht wird [1]. Der Name Beriberi stammt aus dem Singhalesischen und bedeutet "Ich kann nicht, ich kann nicht" – eine treffende Beschreibung für die lähmende Schwäche, die Betroffene oft erleben.
Thiamin spielt eine entscheidende Rolle im Körper
Thiamin, auch bekannt als Vitamin B1, ist ein essenzielles Vitamin, das unser Körper nicht selbst herstellen kann. Es spielt eine zentrale Rolle im Energiestoffwechsel und ist besonders wichtig für die Funktion von Nerven, Muskeln und Herz-Kreislauf-System [2].
Was genau macht Thiamin im Körper?
Thiamin ist ein Coenzym, das für wichtige Enzyme des Kohlenhydratstoffwechsels unerlässlich ist. Es hilft unserem Körper, Energie aus der Nahrung zu gewinnen und unterstützt die normale Funktion des Nervensystems. Ohne ausreichend Thiamin kann unser Körper Kohlenhydrate nicht effektiv in Energie umwandeln, was zu einer Vielzahl von Problemen führen kann:
- Thiamin unterstützt Enzyme, die für den Abbau von Glukose und die Energieproduktion in den Zellen wichtig sind.
- Thiamin ist essenziell für die Funktion des Nervensystems. Es unterstützt die Reizübertragung zwischen Nervenzellen und trägt zur Synthese von Neurotransmittern wie Acetylcholin bei.
- Vitamin B1 ist wichtig für die normale Funktion des Herzmuskels und kann die Pumpleistung des Herzens unterstützen.
- Thiamin trägt zur Aufrechterhaltung eines normalen Muskeltonus bei und ist wichtig für die Muskelfunktion und -regeneration.
- Es unterstützt kognitive Funktionen und die psychische Gesundheit, einschließlich Stimmungsregulierung.
- Thiamin unterstützt das Immunsystem.
- Es hilft bei der Produktion von Salzsäure im Magen und ist somit wichtig für die normale Verdauung [3].
Die Ursachen von Beriberi: Mehr als nur falsche Ernährung
Der Hauptgrund für Beriberi ist ein Mangel an Vitamin B1 in der Ernährung. Doch die Ursachen für diesen Mangel können vielfältig sein:
Einseitige Ernährung: Eine Diät, die hauptsächlich aus poliertem Reis oder stark verarbeiteten Kohlenhydraten besteht, kann zu einem Thiaminmangel führen.
Alkoholmissbrauch: Chronischer Alkoholkonsum kann die Aufnahme und Verwertung von Thiamin im Körper beeinträchtigen.
Erkrankungen: Morbus Crohn kann die Aufnahme von Thiamin im Magen-Darm-Trakt stören.
Erhöhter Bedarf: Schwangerschaft, Stillzeit oder Fieber können den Thiaminbedarf des Körpers erhöhen.
Die zwei Hauptformen der Beri-Beri-Krankheit
Beriberi kann sich auf unterschiedliche Weise manifestieren, wobei zwei Hauptformen unterschieden werden:
Trockene Beriberi: Wenn die Nerven leiden
Die trockene Form von Beriberi beeinträchtigt vor allem das Nervensystem und kann schwerwiegende neurophysiologische Folgen haben. Betroffene erleben oft ein unangenehmes Kribbeln und Taubheitsgefühle, die in Händen und Füßen beginnen und mit der Zeit zunehmen können. Diese sensorischen Störungen gehen oft mit Muskelschwäche und -atrophie einher, was die Mobilität der Betroffenen erheblich einschränkt und das Risiko von Stürzen erhöht. Zudem erschweren Schwierigkeiten beim Gehen und eine allgemeine motorische Unsicherheit den Alltag dieser Patienten.
Häufig treten auch Sprachstörungen auf, die das Sprechen und die Kommunikation erschweren können. Diese körperlichen Symptome werden häufig von kognitiven Beeinträchtigungen begleitet, etwa Konzentrationsschwäche und Gedächtnisprobleme, die den sozialen und beruflichen Alltag zusätzlich belasten [4].
Feuchte Beriberi: Wenn das Herz-Kreislauf-System betroffen ist
Auf der anderen Seite steht die feuchte Form von Beriberi, die das Herz-Kreislauf-System betrifft. Die Patienten leiden häufig unter Kurzatmigkeit, die schon bei minimaler körperlicher Belastung auftritt und die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen kann. Ein schneller Herzschlag, bekannt als Tachykardie, ist ebenfalls typisch und kann langfristig zur Überlastung des Herzens führen. Darüber hinaus kommt es häufig zu Ödemen in den Beinen, die auf Flüssigkeitsansammlungen in den Geweben zurückzuführen sind und oft mit einer Herzinsuffizienz einhergehen. Diese Symptome verlangen eine schnelle medizinische Intervention, um irreparable Schäden zu verhindern [4].
Beriberi bei Babys: Symptome bei Infantiler Beriberi
Infantile Beriberi ist eine besonders gefährliche Form der Beriberi-Krankheit, die bei Säuglingen auftreten kann, deren Mütter während der Schwangerschaft oder Stillzeit einen signifikanten Thiaminmangel aufweisen. Die Symptome dieser Erkrankung können sich abrupt manifestieren und eine erhebliche Bedrohung für das Leben des Kindes darstellen:
- Oftmals beginnt die kindliche Beriberi mit unspezifischen Anzeichen wie Reizbarkeit und vermindertem Appetit, was die frühzeitige Erkennung erschwert.
- Erbrechen und Durchfall können plötzlich eintreten und schnell zu einer fortgeschrittenen Dehydrierung führen. Atemprobleme, die sich unter anderem in einer beschleunigten oder erschwerten Atmung zeigen, machen einen sofortigen medizinischen Eingriff erforderlich.
- Am alarmierendsten ist jedoch das potenzielle Auftreten von Herzversagen, welches ohne dringende Behandlung fatale Folgen haben kann.
Beriberi-Symptome bei Säuglingen müssen schnell behandelt werden, um Folgeschäden zu verhindern [5].
Wernicke-Korsakow-Syndrom: Die neurologische Komplikation
Ein schwerer Thiaminmangel kann zum Wernicke-Korsakow-Syndrom führen, einer schwerwiegenden neurologischen Störung. Diese Erkrankung setzt sich aus zwei zusammenhängenden Zuständen zusammen: der Wernicke-Enzephalopathie und dem Korsakow-Syndrom [6].
Die Wernicke-Enzephalopathie ist die akute Phase der Erkrankung. Sie ist gekennzeichnet durch eine plötzlich auftretende Symptomtrias aus Verwirrtheit, Augenbewegungsstörungen und Ataxie, einer neurologischen Störung, die durch eine Beeinträchtigung der Bewegungskoordination und des Gleichgewichts gekennzeichnet ist. Die akute Phase ist bei rechtzeitiger Behandlung potenziell reversibel.
Das Korsakow-Syndrom hingegen ist die chronische Phase, die sich entwickeln kann, wenn die Wernicke-Enzephalopathie nicht oder unzureichend behandelt wird. Es ist durch schwere Gedächtnisstörungen gekennzeichnet, insbesondere anterograde Amnesie (Unfähigkeit, neue Erinnerungen zu bilden), retrograde Amnesie (Verlust von Erinnerungen vor dem auslösenden Ereignis) sowie Konfabulationen (unbewusstes Erfinden von Geschichten, um Erinnerungslücken zu füllen).
Das Wernicke-Korsakow-Syndrom tritt häufig bei Menschen mit Alkoholproblemen auf, kann aber auch andere Ursachen haben. Die Symptome umfassen:
- Verwirrtheit und Desorientiertheit
- Ausgeprägte Gedächtnisstörungen, besonders das Kurzzeitgedächtnis betreffend
- Probleme mit der Augenbewegung, wie Nystagmus und Ophthalmoplegie
- Gangstörungen und Ataxie
- Antriebsverminderung und Affektverflachung
Während die Wernicke-Enzephalopathie bei schneller Intervention oft reversibel ist, sind die Schäden beim Korsakow-Syndrom häufig irreversibel. Eine frühzeitige Erkennung und Behandlung mit hochdosiertem Thiamin ist entscheidend für die Prognose.
Diagnose und Behandlung von Beriberi: Den Mangel erkennen und beheben
Die Diagnose von Beriberi kann eine Herausforderung sein, da die Symptome oft unspezifisch sind. Ärzte stützen sich auf eine Kombination aus klinischen Symptomen, Ernährungsanamnese und Labortests zur Bestimmung des Thiaminspiegels im Blut.
Die Behandlung von Beriberi zielt darauf ab, den Thiaminmangel zu beheben und die Symptome zu lindern:
Thiamin-Supplementierung: In der Regel werden hohe Dosen von Thiamin verabreicht, oft zunächst intravenös und später oral.
Ernährungsumstellung: Eine ausgewogene, thiaminreiche Ernährung ist entscheidend für die langfristige Prävention.
Behandlung der Grunderkrankung: Wenn Alkoholmissbrauch oder andere Erkrankungen die Ursache sind, müssen diese ebenfalls angegangen werden.
Symptomatische Therapie: Je nach Ausprägung der Symptome können weitere Behandlungen erforderlich sein, z.B. Physiotherapie bei Muskelschwäche oder Herzmedikamente bei kardialen Symptomen.
Prävention: Dem Mangel vorbeugen
Die beste Strategie gegen Beriberi ist die Prävention. Um einen ausreichenden Thiaminspiegel zu gewährleisten, können Sie Folgendes tun:
Ausgewogene Ernährung: Integrieren Sie thiaminreiche Lebensmittel in Ihren Speiseplan. Dazu gehören Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse, Fleisch und Fisch.
Vorsicht bei verarbeiteten Lebensmitteln: Vermeiden Sie eine Ernährung, die hauptsächlich aus weißem Mehl, weißem Zucker und anderen stark verarbeiteten Kohlenhydraten besteht.
Mäßiger Alkoholkonsum: Übermäßiger Alkoholkonsum kann die Thiaminaufnahme beeinträchtigen und zu einem erhöhten Risiko für Beriberi führen.
Supplementierung bei erhöhtem Bedarf: In Phasen mit erhöhtem Bedarf, wie Schwangerschaft oder bei chronischen Erkrankungen, kann eine Supplementierung sinnvoll sein. Sprechen Sie darüber mit Ihrem Arzt.
Beriberi im weltweiten Vergleich
Während Beriberi in vielen Industrieländern selten geworden ist, bleibt es in einigen Regionen der Welt ein relevantes Gesundheitsproblem. In Südostasien, wo polierter Reis ein Grundnahrungsmittel ist, tritt Beriberi noch immer häufiger auf, weil es schwierig für die Menschen ist, den täglichen Bedarf an Thiamin zu decken. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt erwachsenen Frauen eine Vitamin-B1-Zufuhr von 1 mg pro Tag. Männer benötigen durchschnittlich 1,2 mg Thiamin täglich. Ein Kind benötigt in jungen Jahren etwas weniger Thiamin, Jugendliche hingegen ein wenig mehr als Erwachsene. Säuglinge sind mit einer Thiamin-Zufuhr in geringen Mengen ausreichend versorgt: Sie benötigen gerade einmal 0,2-0,4 mg täglich [7].
In westlichen Ländern tritt Beriberi heute hauptsächlich bei bestimmten Risikogruppen auf:
- Menschen mit Alkoholabhängigkeit
- Personen mit chronischen Magen-Darm-Erkrankungen
- Personen mit einseitiger Ernährung oder Essstörungen
Beriberi präventiv begegnen
In der heutigen Zeit, in der wir Zugang zu einer Vielzahl von Nahrungsmitteln haben, erscheint Beriberi wie ein Überbleibsel vergangener Zeiten. Doch trotz des technologischen und medizinischen Fortschritts kann die Erkrankung heute noch jeden treffen, unabhängig von seinem Lebensstil oder Wohnort. Besonders in Gesellschaften, in denen Fast Food oder verarbeitete Kohlenhydrate den Alltag dominieren und wertvolle Nährstoffe oft vernachlässigt werden, kann das Risiko eines Thiaminmangels ungewollt steigen.
Zudem machen globale wirtschaftliche und ökologische Herausforderungen, wie Lebensmittelknappheit oder ungleiche Ressourcenverteilung, Beriberi in bestimmten Gegenden zu einer nie ganz verschwundenen Bedrohung. Auch chronische Krankheiten, die die Nährstoffaufnahme beeinträchtigen, und soziale Faktoren wie Armut, geschältem Reis als Grundnahrungsmittel oder Alkoholmissbrauch tragen zur Persistenz dieser eigentlich vermeidbaren Mangelerkrankung bei.
Deswegen sollten wir alle präventiv Maßnahmen ergreifen, uns die Wichtigkeit einer ausgewogenen Ernährung bewusst machen und versuchen, unsere Thiamin-Zufuhr so hoch zu halten, dass eine Unterversorgung und ein genereller Vitaminmangel ausgeschlossen sind.
Quellen:
[1] https://www.gesundheit.gv.at/lexikon/B/beri-beri.html
[2] https://www.klartext-nahrungsergaenzung.de/vitamin-b1-thiamin-fuer-herz-und-nerven
[3] https://www.dge.de/gesunde-ernaehrung/faq/thiamin/
[4] https://www.msdmanuals.com/de/vitamine/thiaminmangel
[5] https://gpnotebook.com/de/beriberi-im-kindesalter
[6] https://www.lecturio.de/wernicke-enzephalopathie-und-korsakow-syndrom/
[7] https://www.dge.de/referenzwerte/thiamin/